Sollte es Menschen geben, die sich dafür interessieren, welcher Verein die lautesten Fans hat, so dürfte Hannover am Ende der Saison ein guter Ansprechpartner in dieser Frage sein. Denn einen geeigneteren Ort für diesen Vergleich als das ehemalige Niedersachsenstadion wird es diese Saison kaum geben. Dort haben momentan nämlich die Gästefans die Möglichkeit sich ohne große Störgeräusche, wie etwa Gesänge der Heimfans, zu entfalten. Damit präsentiert sich Hannover 96 momentan als ein Beispiel für die Dystopie des Modernen Fußballs, wie nicht einmal das oft beschworene Schreckgespenst RB Leipzig es erschreckender könnte.
Grundsätzlich ist der Gästeblock in Hannover wohl einer der schönsten in der Bundesliga und zweifellos der, mit der besten Sicht auf das Spielfeld. Auch ansonsten sind meine Erfahrungen in Hannover, sieht man einmal von den Spielergebnisse ab, durchweg positiv. Die niedersächsische Landeshauptsadt gehört ohne Frage zu den angenehmsten Auswärtsfahrten der Saison. Zumindest für mich. Doch dieses Mal fühlt es sich, trotz der erneut entspannten Anreise, dem günstigen Bier am Stadion und der vielen mitgereisten Kölner Fans komisch an, dort im Oberrang zu stehen. Denn auf der gegenüberliegenden Seite erblickte man das, was eventuell die Zukunft des Profifußball in Deutschland sein könnte.
Das Verhältnis zwischen Hannovers Präsident Martin Kind und einem Großteil der aktiven Fanszene in Hannover wirkte von außen betrachtet schon länger schwierig. Schließlich bezeichnete Kind einen Teil der eigenen Anhängerschaft auch schonmal als Arschlöcher und machte deutlich, dass ihm wenig an traditionellen Werten liegt und das 50+1-Modell der DFL ablehnt. Im Sommer kam es nun wohl zum endgültigen Bruch zwischen Fanszene und Verein, so dass die Ultras in Hannover beschlossen, fortan der Profimannschaft fernzubleiben und stattdessen die eigenen Amateure zu unterstützen. Beim Verein schien dies keine große Bestürzung auszulösen. Im Gegenteil, es wirkte so, als sei man froh, die lästigen Störenfriede los zusein. Zurück bleibt eine Kurve im Stadion, der alles fehlt, was eine Fankurve in einem Fußballstadion ansonsten ausmacht. Keine großen Fahnen, keine kleinen Fahnen, keine singenden Menschen.
Nur ganz selten, wenn man im Gästeblock kurz Luft schnappte um ein neues Lied anzustimmen, konnte man zaghaft einen Wechselgesang zwischen der Gegengraden und der ehemaligen Fankurve Hannovers vernehmen. Ansonsten war es nur der Stadionsprecher und die bei jeder Gelegenheit eingespielten Werbepartner („Dieser Einwurf wird ihnen präsentiert von…“) die in ohrenbetäubender Lautstärke die Arena beschallten. Die Durchsagen, vor allem gegen Ende und nach dem Spiel, waren derart laut, dass es an Körperverletzung grenzte.
In Hannover ist also eventuell schon das zu erahnen, was in ein paar Jahren der Standard deutscher Stadien sein könnte. Wundervolle Arenen, guter Fußball, eine perfekte Sicht auf diesen, und keinerlei Leidenschaft auf den Rängen. Denn da konnte der Stadionsprecher sich noch so sehr bemühen, am Mikrofon Emotionalität vorzuspielen, wirklich fühlen konnte man diese gestern nur im Kölner Gästeblock.
Während die Traditionalisten zur Zeit besorgt nach Ingolstadt oder Leipzig schauen, der gerechtfertigte Protest gegen Konstrukte wie Wolfsburg oder Leverkusen mittlerweile zum Alltag gehört und sich Hoffenheim längst nicht mehr als Aufreger anbietet sondern, fast schon dankbar, den Platz als graueste aller Bundesligamäuse eingenommen hat, ist das, was stets als Horrormärchen des modernen Fußball aufgezeigt wurde, plötzlich Realität geworden. Das Unglück der Zukunft. In Hannover ist es zur Zeit zu betrachten.