Manchmal sind es die einfachen Dinge des Alltags, die alles über einen aussagen. So ging ich heute Morgen nach draußen an den Briefkasten, um die Post hinein zu holen und hielt prompt zwei Briefe in der Hand, die alles über mein Fandasein im Fußball aussagen und dachte mir ich könnte hier mal meine Geschichte erzählen, auch wenn sie nur indirekt mit dem FC zu tun hat.
Wie jeder andere der Sektion Twitter trage ich dem FC im Herzen. Entsprechend war der erste Brief einer vom FC. Nachdem ich letzte Woche endlich das getan hab, was ich schon seit Monaten tun wollte, begrüßte der FC mich herzlich als neues Mitglied im Club und teilte mir meine Mitgliedsnummer mit.
Der zweite Brief war dann Zeuge für das, was mich vom Rest der Sektion Twitter unterscheidet: Er kam aus Spanien und war vom Club Atlético de Madrid, der mich über die Verlängerung meines Status als „Socio No Abonado“ (Mitglied ohne Dauerkarte) im Verein informierte.
Mein Herz ist rot-weiß, jedoch gehört es nicht nur dem FC. Mit dem kleinen spanischen Hauptstadtclub hat noch ein zweiter rot-weißer Club mein Herz erobert und beansprucht einen Teil für sich.
Manche sagen als Fan einer Mannschaft wird man geboren. Manche sagen auch, man könne kein richtiger Fan von zwei Mannschaften gleichzeitig sein und könne für eine zweite Mannschaft bestenfalls „Sympathien“ entwickeln. Für manche mag das auch so sein. Bei mir ist es nicht so. Was Fußball angeht bin ich Polygam. Ich liebe zwei Vereine. Zwei Vereine die sich manchmal erschreckend ähnlich sind. Zwei Vereine die eine Schwäche dafür zu haben scheinen noch einmal nachzutreten, wenn du schon auf dem Boden liegst.
Meine Geschichte mit meinem anderen Club begann damals wie jede typische „Frauen und Fußball“ Geschichte: Mit einem attraktiven Spieler. Fernando Torres, die „Perle“ des Atlético Nachwuchssystems führte mich damals in die spanische Liga zum Club am Manzanares.
Gut ein Jahr später saß ich mit einer Freundin, die eigentlich Inter Mailand Fan ist, im Estadio Vicente Calderón. Fernando Torres war inzwischen in England, aber ich unterstützte den Verein immer noch. Es war Februar 2008 und es schüttete bei frischen 4 Grad über die gesamten 90 Minuten wie aus Eimern. In blindem Vertrauen auf den spanischen Wetterbericht (etwas, was man tunlichst NICHT tun sollte), der ein Regenrisiko von 2!!!! % vorhersagte, saßen wir auf einem nicht überdachten Platz für 46 Euro und waren am Ende des Spiels nass bis auf die Unterwäsche. Das Spiel erinnerte an vieles, was der geneigte FC Fan sonst im heimischen Müngersdorf zu sehen bekommt. Atleti ging früh in Führung und verlor am Ende, nach Gestümper und einer unberechtigten roten Karte für Raul Garcia, mit 1-2 gegen Athletic Bilbao. Der normale Mensch würde sagen: Es war richtig scheiße. War es aber nicht. So wie Bucksen sein Wohnzimmer 500 Kilometer von seiner Heimat aus gefunden hat, hatte ich ein zweites Wohnzimmer 2000 Kilometer entfernt entdeckt. Es klingt kitschig, aber in dem Augenblick wusste ich: Der Club hatte mich erobert und es gab kein Zurück mehr.
Im bekanntesten Werbespot von Atleti geht es um einen kleinen Jungen der seinen Vater fragt „Papá por qué somos del Atleti?“ (Papa, warum sind wir Atleti Fans). Und die Frage, wie man als Deutsche diesem Chaosclub, bei dem es niemanden gibt der Englisch kann und bei dem die Internetverbindung der Presse jede Woche beschissen ist, weil dauernd die WLan Router geklaut werden, verfallen kann ist das, was man auf jeder Auswärtsfahrt und bei jedem Trip ins Calderón gefragt wird.
Vermutlich ist es die Tatsache, dass der Verein etwas Besonderes ist, weswegen man ihm verfällt. Viele Dinge die ich bereits vom FC kannte, erlebte ich in dem Verein in einer spanischen Version erneut:
Der Club wird in Spanien nur „el pupas“ (das Ups) genannt mit Hinweis darauf, dass Atleti in seiner Historie jede große Möglichkeit hat ungenutzt gelassen. Inzwischen sind die Pupas nach den letzten Siegen in der Europa League vorrübergehend verschwunden. In der Saison hat die Mannschaft grundsätzlich zwei Gesichter: Das gute – wo man guten Fußball zu Gesicht bekommt – und die hässliche Fratze. Voraussagen welches Gesicht beim nächsten Spiel aufgelegt, wird lässt sich nicht. Konstanz wird seit Jahren gesucht. Darüber kann auch der Sieg der Europa League nicht hinwegtäuschen. Immer wenn du denkst „Hey wir haben einen Lauf“ geht es in die Hose. Trotz Führung gegen 10 Gegenspieler verlieren? Kein Problem. Im Pokal gegen einen Drittligisten rausfliegen? Sicher doch.
Viele Spieler kamen für viel Geld und schienen ihr Talent am Eingang des Calderón abgegeben zu haben. Die Einkaufspolitik des Clubs ist nicht nachvollziehbar. Trainer kommen, bleiben wenn es hochkommt eine Saison und werden dann entlassen oder gehen freiwillig.
Der Club ist pleite (jedoch in einem Ausmaß, welches der FC hoffentlich niemals erreichen wird) und am Ruder des Clubs sitzen ein Präsident und ein Hauptaktionär für die es keine Möglichkeit der Abwahl gibt und die entsprechend machen was sie wollen.
Zusätzlich gibt es eine gewisse „Messiasmentalität“ unter den Fans. So wird beim Club standardmäßig nach jeder Trainerentlassung Luis Aragones als neuer Trainer gefordert. Fernando Torres schoss Atleti aus der zweiten Liga und ging dann 2007 nach Liverpool. Bis dahin lastete jeglicher Druck auf dem jungen Spieler der mit 19 schon die Kapitänsbinde trug. Den „verlorenen Sohn“, der bis heute bei jeder Titelfeier der Nationalelf mit Atleti Schal auftrat und der nach dem Europa League Sätze brachte wie „Über den Sieg Atleticos freue ich mich mehr als über einen eigenen Sieg.“ Und „Ich zähle bereits die Tage bis zum Supercupfinale. Ich werde so oder so als Gewinner nach Hause gehen“, nach Hause zu holen ist bis heute der Wunsch vieler Atleti Fans.
Aktueller Messias ist Trainer Diego „Cholo“ Simeone. Als einer der Helden von 1996 (das letzte Jahr des Doubles) wird in ihm der Rückweg zum Erfolg gesehen. Mit dem Sieg der Europa League hat er einen Grundstein dafür gelegt. Wie der Kader in der kommenden Saison aussehen wird weiß jedoch keiner so genau.
Das besonderste am Verein ist jedoch das, was man in Spanien das „Sentimiento Atlético“ nennt. Das besondere Gefühl zu diesem Club und zu seinen Fans zu gehören. Dieses Gefühl kennt vermutlich jeder FC Fan auch aus Köln.
Die Fans dieses Clubs sind etwas ganz besonderes. Mir als deutschem Atletico Fan der auch noch weiblich ist, treten generell alle überaus zuvorkommend gegenüber. Die Tatsache, dass es ernsthaft Leute außerhalb Spaniens gibt die zu Spielen des Vereins reisen bringt jedes Mal ihre Augen zum Leuchten (und verschafft dann zahlreiche Freibiere und kostenfreie Übernachtungsmöglichkeiten).
Wie der FC Fan sind Atleticos Fans äußerst leidensfähig, werden oft enttäuscht und stehen dennoch immer und überall hinter dem Club, egal wie schlecht es läuft und egal wie oft man sich dafür von den Real Madrid Kollegen ärgern lassen muss. Es gibt viele Momente, an denen einem der „Papa porque somos del Atleti“ Spruch um die Ohren gehauen wird. Aber dann stehst du in Bukarest im Stadion im großen Finale und weißt, dass du wegen Nächten wie dieser, wegen ebendiesen großen Siegen und Spielen Atleti Fan bist. Und dass all die Häme die du dir anhären musstest, die 1000 km im Auto nach Rennes wo der Gästeblock aus 20 Mann bestand, die Stunden die du am Flughäfen und all das Geld was du für Europa League Trips ausgegeben hast, es wert war.
Auf meinen inzwischen zahlreichen Reisen durch Europa mit dem Club habe ich viele hervorragende Leute aus sämtlichen europäischen Ländern getroffen und viele Freunde in Deutschland, Madrid und im Rest Europas gefunden. Zum Derby gegen Real gibt es einmal im Jahr das große Familientreffen an dem seit diesem Jahr der internationale „Thisisatleti“ Cup im Hallenfußball ausgespielt wird.
Auch die Rojiblancos sind Twitterer. Neben dem offiziellen Account @atleti (Gruß an Alex der den Account managt) hat der halbe Kader einen Twitteraccount. Dort entstehen auch unter den Spielern manchmal die schrägsten Dialoge (wenn auch auf Spanisch). Die #Atleticosporelmundo auf Twitter bereichern meine Timeline um Leute aus Deutschland, Norwegen, Schweden, Holland, Belgien, Schottland, England, Irland, den USA, Mexiko, Puerto Rico und sogar aus dem fernen Australien, die allesamt mein Schicksal teilen.
Atleti und der FC haben bislang – bis auf die witzigen Ähnlichkeiten – kaum Berührungspunkte. Die engste Berührung, die die Clubs je hatten war der Transfer von Maniche, seinerzeit mein Lieblingsspieler bei Atleti, der dann zum FC kam. Ich war so stolz endlich einmal einen Atleti Spieler in Köln begrüßen zu können auch wenn ich im Nachhinein sagen muss, dass dieser Transfer ein großes Missverständnis war. Man hat drei Mal Freundschaftsspiele bestritten aber noch nie ein Pflichtspiel gegeneinander bestritten und so kann ich mit meinem Traum verbleiben: Champions League Finale 2016 Atletico Madrid – 1. FC Köln. Und ich werde auf der Mittellinie sitzen.
Schöne Geschichte! Polygamie im Fußball, so wie hier, finde ich absolut vertretbar. Glaube allerdings auch nicht, dass man in einen Verein “hineingeboren” wird. Dafür gibt es zu viele verzweifelte Eltern, die sich fragen, warum zur Hölle der Nachwuchs unbedingt auf die Bayern stehen muss.
Im Rahmen der WM 1974 packte mich als Drei-Käse-hoch der Fußball. Schnell wurden auf dem Hinterhgof die Rollen verteilt: Beckenbauer, Meier, Müller etc. Nach der WM wurde diese Rollenverteilung auf Vereinsebene “runtergebrochen”. Da gab’s bei uns (damals in Köln) Gladbach-, Bayern- und FC-Fans. Doch ein Jahr später zogen wir weg – sehr zu meinem Missfallen. Vielleicht war es bloßer Trotz, aber sobald wir weg waren war der FC “plötzlich” mein Verein. Und er ist es geblieben.
Davon ab hege ich etwa aber auch große Sympathien für Newcastle United. Das ist “mein” Club auf der Insel.
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